Hans Joachim Teschner

 

 

 

 

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Tafel 12

Drei dumme Brüder

In einem Erdloch nahe der Leke hausten einmal drei Brüder, die von aufbrausender Natur waren und so gewalttätig, daß die Umgegend von den Gebeinen ihrer Opfer übersäht war. Ein anderes Wesensmerkmal aber stellte ihre Gewalttätigkeit noch in den Schatten: ihre dürre geistige Verfassung. Der eine war dümmer als der andere, der dritte aber so dumm wie ein Schifferklavier, und vor lauter Dummheit gab er sich auch diesen Namen. Stets kam es zum Streit zwischen den Brüdern. "Ein Schifferklavier kann ja gar nicht dumm sein", trumpfte zum Beispiel der erste Bruder auf, "dafür ist es viel zu kurz." Der zweite überlegte eine Weile und widersprach: "Es ist nicht zu kurz, sondern zu naß, weil man immer hineinspucken muß, damit es nicht stolpert. Ist doch so, Schifferklavier, oder?" Schifferklavier, der dritte Bruder, kannte auf jedwede Frage nur eine einzige und immergleiche Antwort: er griff sich den nächstbesten Laffen und erwürgte ihn, und damit war das Problem aus der Welt. Diesmal fiel ein Pilzsucher aus Rastede seiner Antwort zum Opfer.

Ein endloser Streitpunkt war auch die Frage, ob die Leke vorwärts oder rückwärts fließt. Die beiden ersten Brüder gerieten darüber so außer Rand und Band, daß sie sich selbst die Nasen blutig schlugen. Während ihrer Prügelei erteilte Schifferklavier fünf tödliche Antworten an Vorüberreisende, deren Körper er achtlos in die Leke warf. Die Leichen aber verkeilten sich an einer Biegung des Baches und verstopften ihn, worauf die Leke sich aufstaute. Das Wasser lief über die Ufer und flutete das Erdloch. Daraufhin beschlossen die Brüder, woanders neue Antworten zu suchen, und sie wanderten ohne Sinn und Verstand drauflos, und das bedeutete, geradewegs nach Varel.

In Varel herrschte zu der Zeit eine angespannte Stimmung. Ein ostfriesischer Einsiedler, der sich für den Propheten der letzten Tagesschau ausgab, hielt auf dem Schloßplatz furchterregende Ansprachen, die jedesmal in die Botschaft mündeten: "Am Ende der Tage wird der berufene Kronleuchter einmarschieren und die Sünden sowie den Schafsmist von den Dielen reißen." Was ein Kronleuchter war, wußte niemand. Anscheinend handelte es sich um einen Knecht des Himmels, der den Auftrag hatte, den Mist und die Sünden wegzuräumen. Das mit den Sünden war den Varelern piepegal, der Schafsmist in den Wohnstuben aber war bereits auf Kniehöhe angewachsen, so daß die Schweine und die Hühner in die Schlafstube umquartiert werden mußten. Dort herrschte eine Enge, die nicht als angenehm empfunden wurde. Kurzum, die Prophezeihung des Einsiedlers nährte die Hoffnung, daß der sogenannte Kronleuchter mal so richtig ausmisten würde.

 

An einem verregneten Abend erreichten die drei dummen Brüder den Schloßplatz, auf dem sich eine Menschenmenge um den Einsiedler geschart hatte. Gerade geiferte dieser mit überschlagender Stimme seinen Schlußsatz und wies zufällig mit seinem Stinkefinger auf die Brüder. Da ging ein Raunen durch die Menge. "Der Kronleuchter ist angekommen", flüsterten die Leute und fielen auf die Knie. Der Schulze des Amtsbezirks, Johann Meynen, faßte als erster den Mut, die Ankömmlinge zu begrüßen: "Verbindlichsten Dank, berufener Kronleuchter, daß du so zahlreich erschienen bist." Bei diesen Worten rupfte sich Schifferklavier verdattert an den Ohren.

"Ich sehe aber", setzte der Schulze fort, "daß ihr eure Mistforken vergessen habt und bitte deshalb mit allem Respekt, euren Auftrag nicht zu leichtsinnig zu nehmen, sonst bläst euch unser Einsiedler den Radetzkymarsch, und das ist der Erden Untergang."

"Den Marsch blasen?" rief der zweite Bruder und lief vor Wut und überhaupt aus Gewohnheit rot an, "ich glaub, mich laust der Affe!" Der erste Bruder geriet ebenfalls unter Bluthochdruck. "Wer wagt es, mich einen Affen zu schimpfen?" schrie er und stieß Schifferklavier in die Rippen. Schifferklavier, um eine Antwort nie verlegen, griff sich den nächstbesten Laffen und brach ihm das Genick.

Hier endet leider die Sage von den drei dummen Brüdern. Denn ausgerechnet dem Chronisten der Ereignisse, dem Heimatdichter Georg Fuseler, war das Schicksal beschieden, zwischen die mahlenden Fäuste von Schifferklavier zu geraten. Gebeinfunde in der Oldenburger Straße sprechen dafür, daß die gewalttätigen Brüder sich hernach dort niedergelassen haben. Allerdings wurden auch in Ruttelerfeld, Petersburg und Jerusalem Gebeine ausgegraben, die Spuren von Fremdeinwirkungen aufwiesen. Gesicherte Erkenntnisse über die Wanderrouten der Brüder werden deshalb, wenn überhaupt, noch lange auf sich warten lassen.  

 

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