Hans Joachim Teschners

Lebens-Quark 29

 


 

 

„Heute habe ich Walter getroffen“,  sagte ich zu Diedel und setzte mich zu ihm. Er hockte krummbucklig an der Theke und nahm seinen dritten halben Liter von Reinhard, dem Wirt, entgegen. Drei Halbe, das verhieß ein kenntnisgesättigtes Gespräch unter Männern der ersten Rockstunde. Gestandene Metallmucker halt.

„Wie immer?“ fragte Reinhard.

„Wie immer“, bestätigte Diedel.

‚Wie immer‘ bedeutete, dass der Rechnungsbetrag des akkumulierten Bierkonsums als Strichcode auf einen Bierdeckel gegriffelt wurde. Sofern noch Platz dafür vorhanden war. Andernfalls musste ein weiterer Deckel in Angriff genommen werden, der den Höhenpegel des vorsorglich angelegten Bierdeckelstoßes um ein weiteres Bierdeckeldickemaß ansteigen ließ.

Der Stoß wurde in einer altdeutschen Eichenvitrine verwahrt, die als Humpen-, Klöterkram- und Pokalregal diente sowie eben zur Aufbewahrung der Bierverzehrrechnungssurrogatdeckel, und die mit ihren gedrechselten zigarettenrauchverschatteten Pseudosäulen die Kneipe schön antitrendig verdüsterte.

Das musste gesagt werden.

Bevor wir wieder auf das vortreffliche Entree zurückkommen, welches da lautete: „Heute habe ich Walter getroffen.“

„Und? Wie immer?“ orgelte Diedel zwischen zwei teleoginen Schluckattacken.

„Wie immer.“ Mein Antwort wie ein Faustkeil in den vor Weicheierei abschlemmenden Hedonistenzirkus. Zum Verständnis des hier aufgeführten Sprachspiels (Wittgenstein) muss der Gebrauch des Ausrufes ‚wie immer‘ erläutert werden. Die oben dargestellte Deutung (Bierdeckeleintrag) versagt diesmal und weicht der folgenden, von Diedel süffig vorgetragenen Ejakulation Interpretation.

„Also vor dem Edekaladen.“

„Vor dem Edekaladen, fürwahr.“

„Und?“

„Es ging um die Preiserhöhung des Erdgases.“

„Darauf kannst du einen lassen“, sagte Diedel.  Ich verstand. Er wollte damit kundtun, dass auch er die Preiserhöhung schlichtweg für eine Schweinerei hielt, obwohl ihm die diesbezügliche Meinung und der möglicherweise gleichhoch lodernde Empörungsgrad des Walter vor dem Edekaladen noch gar nicht zu Gehör gebracht wurde.

„Wenn Walter hier wäre…“ begann ich im Zustand einer stimmungsvollen Diskurserwartung, aber Reinhard, der Wirt, unterbrach mich mit einem „Genau“.

„Ist nun mal nicht hier, dein Walter“, karrte Diedel nach, „sondern vor dem Edekaladen.“

Ich nahm einen mächtigen Schluck und rülpste.

„So geht es immer“, philosophierte Reinhard und das nicht zum ersten Mal (auch nicht zum letzten Mal, wenn mir die Nebenbemerkung erlaubt ist).

„Walter“, hub ich an, „wird, so versicherte er mir vor dem Edekaladen, seinen Gasanschluss abbestellen. Aus Protest.“

„Und womit heizt er dann seine Bude?“ Diedel.

„Erstens wohnt Walter in einer geräumigen Haus, zweitens heizt er sowieso alle Zimmer mit selbstgehacktem Holz in einem zentral positionierten Kachelofen. Kostet ihn lau, wenn ihr versteht.“

„Runde!“ Diedel.

„Wie immer?“ Reinhard.

„Wie immer.“ Diedel.

Wir stießen an und grübelten eine Weile vor uns hin. Walter hatte den Bogen raus, aber wozu hatte der überhaupt einen Gasanschluss?

„Wegen des Badewassers“, schnalzte Reinhard vom Zapfhahn aus. Diedel nickte und ich erinnerte mich an die Zeit, wo wir nachts in das Waschbecken pissten, um die Vermieter nicht mit der Klospülung aufzuwecken.











































 

 


 

Als Jerry bereits eine Anstellung als Gitarrenlehrer an öffentlichen Institutionen  innehatte und somit die Periode seiner Studienabbrüche allmählich in das Dunkel seiner kopfheisternden Vergesslichkeit eintauchte, um darin das

Gnadenbrot des Absaufens in Phantasiemorast & Gedankenschlamm & Verwandlungsarbeit & Neuinterpretation & dergleichen mehr

zu mümmeln, in dieser aufkeimenden Zeit des sich Einfügens in einen bürgerlichen Mediokretinismus verfiel er in periodisch ungleichen Abständen in einen Zustand der Wehleidigkeit.

Sie äußerte sich in romantisierenden  Schwärmereien von einer besseren Zeit, in der die Welt noch lebens- und liebenswert und überhaupt was wert war, und die den Jungen und Dummen von heute mit der Sprachknute „Früher“ um die Ohren gehauen wird, auf dass sie sich schlecht, schäbig und schuldig vorkommen. Ein bewährtes pädagogisches Konzept.

 

Dr. Schiwago riss einen Knopf von seiner Weste

 

Diesmal ging es um Jerrys älteren Bruder Georg und dessen wundersame, sprich überirdische (Trendjargon!) Ideen. Gerade mal 18 geworden (hört, hört, ihr schlaffen Opfer!), kam Georg auf die Idee, ein Ladengeschäft in der Kleinstadt zu eröffnen. Georg galt in der Familie als noch durchgeknallter als die beiden noch älteren Schwestern Hiltrud und Gertrud zusammen. Diese hatten sich seit einem selbstverschuldeten Eklat im ägyptisch-muselmanischen Öffentlichkeitsgehege den Ruf verrohter Suffragettität erworben und in der Folge ungezügelt weiter aufgeblasen, welche sich in einer skrupellosen, ja vollständig enthemmten sexuellen Freizügigkeit entlud.

Dazu mehr an anderer Stelle.

 

Den Trick, pikante Details in Aussicht zu stellen und auf kommende Kapitel zu verweisen, hat der Autor ja wohl von amerikanischen Creativ-Writing-Zampanos übernommen, ein erbärmlich durchsichtiger Versuch, den Leser zu ködern und über langweilige uninspirierte Textstrecken bei guter Laune zu halten. Wozu überhaupt die Mühe? Diesem Text und dem Drumherum mangelt es doch eh an dramaturgischer Raffinesse, an Spannung, an formaler Stringenz, an nachvollziehbarer Handlung, kurz, an alledem, was einen guten Text ausmacht.

 

Welches geistige Käseloch hat sich denn hier wieder ausgereihert?

Der Autor.

 

Die Vorstellung des Georg zu dem besagten Laden beruhte auf einem betriebswirtschaftlichen Missverständnis des Firmengründers in spe. In dem Laden wollte er nämlich wohnen.

Und nichts verkaufen.

Oder ausleihen.

Nur wohnen.

 

Beim Sonnenbad verschlang der Wesir einen Leberknödel

 




Rom, Neujahr, ohne Papst

Wobei ihm eine etwas eigenwillige Version des Begriffes Wohnen vorschwebte. Es sollte eine Art Wohnperformance werden. Deshalb auch der Laden mit einer Schaufensterfront zur Straßenseite. Sonst würde ja niemand die Wohnperformance wahrnehmen.

Ein Plakat hatte Georg auch schon gemalt. ‘Wohnwonnen‘ stand drauf. In den Farben Jamaikas. Die Leute würden an dem Schaufenster vorbeischlendern, stutzen, stehenbleiben und das als Ganzheit sich präsentierende Wohnkunstwerk verfolgen, denn ein Hinterzimmer für intime oder private Angelegenheiten sollte es nicht geben.

Das erinnert heutige Niedrigschwellengucker an die bald einsetzenden Fernsehshows der Wohncamps bzw. Big Brother-Container.

Georg aber ging viel weiter, hatte visionäre Eingebungen, die den späteren Dummbeuteln der Billigshows ungebremst an der Kimme vorbeirauschten:

Interaktiv sollte es nämlich zugehen, denn die Passanten sollten aufgefordert werden, in das Wohngeschehen einzugreifen.

Und hier kamen die Geschwisterschwestern Hil- und Gertrud ins Spiel. Ihnen sollte dabei eine ausgesprochen delikate Rolle zufallen, die den Moralvorstellungen...

Genaueres erfahren wir später.

 

Da, schon wieder!

Wenn der Leser jetzt nicht merkt, wo der Hase läuft, dann weiß ich es auch nicht.

 

Halt einfach die Gusch und wart ab.

Der Autor

 

 

Napoleon goß sich einen hinter die Binde

 

 

Zunächst galt es, eine geeignete location (Sackgesicht Fischer) für die Wohnwonnen zu finden. Nach Besichtigung aller leerstehenden Läden in der Kleinstadt kam schließlich nur ein Objekt in Frage: das aufgelassene Fischgeschäft Schmittke in der Bismarckstraße, mitten in der Fußgängerzone. Preiswert war es auch noch, da der vormalige Sezierraum resp. das hinterzimmrige Küchenhuck für das Filetieren und Entgräten von Seelachs, Scholle, Dorsch & Co. vom Vermieter mit soviel Plunder, Autoreifen, Bierflaschen, Altölkanistern & Abartigkeiten zugemüllt war, dass eine Räumung jenseits seiner irdischen Möglichkeiten lag und nur ein jäher Todesfall mit anschließender Feuerbestattung sowohl des Leichnams wie auch des Schrotthaufens als praktikabler Ausweg in Frage kam.




Rom, Neujahr, mit Papst
urbi et orbi


 Nach der Laudatio erwürgte der Nobelpreisträger die Königin

 

Besser noch wäre eine Explosion, ausgelöst durch eine undichte Gasflasche inmitten des Unrats, bei der die gesamte Exküche vernichtet würde und auch vom verblichenen Sankt von und zu Messie nur halbverkohlte Reliquien übrigblieben.

Eine offizielle Resteverbrennung unter kostspieliger Inanspruchnahme des Krematoriums Wilhelmshaven würde sich erübrigen, und die Kokelstücke

könnten im Wald unter einer saftigen Birke entsorgt werden, ist ja heute recht beliebt, so eine Waldbestattung.

Der übrig gebliebene Laden aber könnte ungleich günstiger übernommen werden, da Georg herausgefunden hatte, dass dem Vermieter keine nahverwandtlichen Gierlappen erblicherseits auf den Fersen waren und die Immobilie nach vollzogener Tabula rasa eh als abbruchreif eingestuft würde.  

 

Ablenken, ablenken, ablenken! Wo bleibt das versprochene wollüstige Ereignis mit den Schwestern?

 

Wenn immer dazwischen gequatscht wird, wird sowieso nichts daraus. Wer hat überhaupt ein wollüstiges Ereignis versprochen? Da offenbaren sich schlüpfrige Begierden und verderbte Phantasien. Verraten! Peinlich, peinlich, peinlich – Ausrufungszeichen.

Der Autor

 

Gegen Abend schritt Kaiser Wilhelm zum Brautklau

 

Zurück zu Georg und seinem Wohnprojekt.

Mit von der Partie sollten neben den verruchten Schwestern auch Jerry und sein Freund Jockel Meier sein, der ja wegen seiner undurchsichtigen Lebensphilosophie (Existenzialist? Kollaborist? Propädeutist?) sexuell als unzumutbar obsessiv verschrien war. Na, das konnte was geben: Jockel Meier zusammen mit den vor Brunst und giepriger Erwartung dampfenden Suffragetten. Was die Beklopptesten der Stadt inklusive der Schwesternbrut damals nicht wussten: Jockel Meier stand auf kleine Jungs.

Im Nachhinein besehen war dieses Faktum, man müsste hier eher von Fatum reden,  der eigentliche Auslöser des Skandals, der die Kleinstadt erschütterte, und der dazu führte, dass Georg überstürzt aus der Stadt fliehen musste, in die Fremdenlegion, wie man munkelte.

Jahre danach entdeckte Jerry den Aufenthaltsort seines älteren Bruders, zufällig, beim gelangweilten Durchsurfen zweideutiger Internetseiten. Da war er, Bruder Georg, auf einem pixeligen Amateurfoto, vernarbt, grauhaarig, mit tückischem Blick. Er fristete ein Anonymleben in einer Hinterhofkaschemme, unter falschem Nachnamen, als Betreiber einer zwielichtigen angeblichen Fischbude in Cuxhaven. Ausgerechnet eine Fischbude! Die Zufälle des wahren Lebens blühen wie stets närrischer auf als alles Romangefasel, das ein Mensch je erfinden könnte.

 

Hinter der Trambahn schlurrte der tote Lenin

 

So war das eben früher, murmelte Jerry wehmütig und nahm die Gitarre wieder in die Hand. Kraftlos schlug er einen Mollakkord an, den Anfang von House of The Rising Sun.  

Seine Schüler blickten verstohlen auf die Uhr.

 

Ja was denn, was denn, ist das alles? Was für ein Skandal, wo bleiben die Enthüllungen? Was haben die Schwestern angestellt? Und Jockel Meier: Hat er kleine Straßenjungs verführt, die vor dem Schaufenster gafften oder was? Durften die Passanten Hand an Hil- oder Ger- oder an beide Truden legen? Überhaupt kommt es mir vor, als hätte der sog. Georg da einen mickrigen kleinstädtischen Abklatsch von der Herbertstraße in Hamburg aufgezogen, einem Schaufensterbordell nämlich mit Nutten hinter der Scheibe und Pisse für vorbeischleichende neugierige Ehefrauen. So wird das gewesen sein.

Die Insassen?

 Nichts anderes als ein Möchtegernloddel, der seine Schwestern als Amateurprostituierte missbraucht plus einem Perversen, der die Höhle als Lockmittel benutzt hat für seine päderastrischen Spielchen plus einem jüngeren von der Kunstszene verwirrten Bruder als Alibi für das Unternehmen.

Die gute alte Zeit?

Pfui Teufel!

 

Du Spacken. Woher weißt du das alles?

Bist du etwa einer der geleimten Kunden gewesen?

Herzliches Beileid sende ich hiermit nicht!

 Der Autor

 

 

Die vorbezeichneten Vorgänge wurden im Finanzamt Wildeshausen dokumentiert

Der Hausmeister verwahrt sie in einer Schatulle

Die Schatulle ist durch ein goldenes Zahlenschloss gesichert

Den Zahlencode kennt niemand

Das Siegel schweigt

 

Wa?

 

Knopf drücken, schlau werden:  Quark 30

 

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