SCHANDE

Kriminalfälle kurz vor Ladenschluss   

 


 

 

Der Juwelenraub

„Es müssen drei Räuber gewesen sein“, gab Juwelier Gotthard von Golzhagen senior zu Protokoll. „Sie schlichen sich von hinten an, schlugen mit einem Eisenhammer auf meinen Kopf, und von da ab gaben sich Dunkelheit und Bewusstlosigkeit ein Stelldichein, will sagen, keinen Deut mehr von der ruchlosen Tat vernahm ich im Zustande des...“

„Wieso nehmen Sie an“, unterbrach K 2 den Redefluss des leutseligen Diamantschleifers, „dass es drei Räuber waren, wenn Sie doch mit dem Eisenhammer von hinten auf den Kopf geschlagen wurden?“ Der das fragte, der mit dem gefürchteten Spitznamen K 2,  war in Sachen Raubüberfall kein unbeschriebenes Blatt. Hauptkommissar „K 2“ Brendel  hatte schon schwierigere Fälle gelöst.

„Nun“, hub Juwelier von Golzhagen an, „noch im Niedersturz auf den erst kürzlich verlegten Marmorboden mit den Intarsien von der Hand des Meisters…“

Erneut unterbrach K 2 den Fluss der wichtiglosen Wörter. „Sie wollen also behaupten, die Täter hätten Ihnen vor dem Schlag die Zahl der Beteiligten mitgeteilt?“

„Ganz so ist es nicht, da mir die Erinnerung daran zu verstehen gibt, und ich möchte darauf hinweisen , dass es keine Berechtigung an den Zweifeln hinsichtlich der Richtigkeit des von mir vorzutragenden Protokolls der Erinnerungslücken zu vermelden geben auch nur im entferntesten…“

K 2 hieb mit der Faust auf die Vitrine. Das Glas ging zur Bruch, und die mit Brillanten besetzten Ringe klapperten blechern auf den Marmorboden. Der Fall schien eine Wendung zu nehmen.

 

 

Spielbeginn

Rotzgummi-Joe hatte das Küchenmesser tief zwischen die Rippen des Mannes gestoßen. Der würde nicht mehr lange wimmern. Und ihm sein Aktienpaket anbieten, angeblich millionenschwer. Dr. Ewald Hartnickel, Vorstandsvorsitzender der Pesto-Biotec AG, Sitz in Bristol, war von  der Macht des Geldes durchdrungen, aus Gewohnheit, aus Überzeugung, und bis zum letzten Atemzug würde er daran glauben; würde nicht wahrhaben wollen, dass es Dinge gibt, die nicht käuflich sind.

Hier freilich galten andere Gesetze. Einen professionellen Killer konnte niemand und nichts von seinem Auftrag abhalten. Und Rotzgummi-Joe war professionell.

Als am folgenden Tag die Putzfrau kam und das Badezimmer betrat, rutschte sie auf einer Blutspur aus. Sie fiel in die Badewanne, aber ihr Fall wurde weich aufgefangen: In der Wanne lag die noch handwarme Leiche des Managers. Die Putzfrau war nicht gerade begeistert. Nun würde sie ihren Job verlieren. Sie rief die Polizei an und verschwand.

Nachdem die Spurensicherung ihre Arbeit getan hatte, rief Detektive Inspector Ian Brainstroke seinen deutschen Kollegen Brendel in Hamburg an, den Hauptkommissar mit dem gefürchteten Spitznamen K 2.

Das war der Anpfiff zum Spiel.

 

 

Blackmail

Mit dem Erpresserschreiben hatte es eine seltsame Bewandtnis, gelinde gesagt. Der ungewöhnliche Stil war es, der zum Grübeln Anlass gab:

 

Wenn Sie nicht umkommen wollen, sollten Sie vorzüglich darauf bedacht sein, Hunderte von gebrauchten Geldscheinen in den Müllbehälter an der Kaiserstraße 34b (Schürmann) abzugeben, aber nicht pur, sondern in einen Plastikbeutel der Firma Netto, unauffällig hineingestopft, so das kein Ungemach das zu bewerkstelligende Geschehen qua Beobachtung durch Dritte aufzuzeigen ist.

 Sonst Tod und Verderben!

Keine Gnade bei Nichtbeachtung!

Die Geisel wird einen Fuß kürzer gemacht!

 

Der Brief ging mit der Vormittagspost ein. Familie Kreutberger, genauer gesagt, Frau Janine Kreutberger, rief ihren Mann Sven Kreutberger im Büro an und gab ihm Mitteilung von dem schweren Verbrechen. Wo die gemeinsame Tochter Paula sei, frug der Kreutberger Sven gegen halb 11 im Gegenzug zum angezeigten Kriminalfall. Die sei ja in der Schule, berichtete die Frau Janine, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der Ranzen der gemeinsamen Tochter nicht etwa noch im Flur lagerte. Verschlafen habe die Paula also gewiss nicht, denn der Ranzen sei hinfort, und die letzte Schulstunde würde erst um dreiviertel 11 endigen, es sei also noch zu früh für etwaige Fragestellungen. Dann sei ja alles gut, schloss der Herr Kreutberger mit einem hörbar erleichterten Seufzer. Und er rief noch hinterher – halb in den Telefonhörer, halb zu seiner Bürokollegin Frau Mertens gerichtet – „Ja, wo sind wir denn!“

 

 

Ein klarer Fall

Diesmal hatte Profiler J. A. Feinstabler leichtes Spiel. Er rekapitulierte noch einmal das Ergebnis der Spurensicherung: Das Schwerverbrechen war im Morgengrauen begangen worden, mit dem Einsatz einer Leuchtkörperrakete. Mehr brauchte J. A. Feinstabler nicht. Er hob seine Stimme, um das Stimmengewirr in der Sakristei zu übertönen. „Der Täter heißt Jussef und ist gebürtiger Dolmetscher. Wohnhaft in der Sperlingsgasse Nummero 24.“

„Na, dann ist ja alles klar“, brach es erleichtert aus allen Mündern hervor, und der Pastor holte seinen besten Messwein aus dem Besenkabuff.

Nur K 2 gab sich zurückhaltend. Er wusste, dass er diesen Profiler von irgendwoher kannte. Und er wusste auch, dass es ihm irgendwann wieder einfallen würde.

 

 

Die Vase

Es war die Vase, die dem Hauptkommissar K 2 auffiel. Sie passte nicht in das Szenario. Überall lagen die Toten herum, im Flur, im Schlafzimmer, in den hinteren Räumen. Blut an den Wänden, Hirnmasse auf dem Teppich, urinbefleckte Hosen – und dann diese Vase. Sie stand auf dem Vestibül, ein billiges Kaufhausprodukt, vermutlich Made in China. Und dennoch: Diese Vase war der Schlüssel zu dem Verbrechen in der Hugenottengasse Nr. 34.

Wenn K 2 nur wüsste, was ihm die Vase sagen wollte.

 

 

Kombinieren – Zuschlagen

Kaum hatte der Sexualtäter seine Sexualstraftat begangen, da schaltete sich schon das Sexualdeliktdezernat ein. Schnell war den ermittelnden Beamten klar, dass es sich hier um einen Seriensexualstraftäter handeln musste, denn bereits vier Sexualstraftaten waren dieser neuerlichen und ungeheuerlichen Sexualstraftat vorausgegangen – nach gleichem Muster und mit gleicher Brutalität. Eine DNA-Analyse erbrachtet die Gewissheit: der Sexualstraftäter war männlich und noch in keiner Datei geführt.

Verdammt!

Nun machte auch noch Innenminister Rammfinger Druck. Er erwartete, dass bis zum Wochenende der Fall gelöst und der Seriensexualstraftäter festgesetzt würde. Sonst würde er, und er machte keinen Hehl aus seiner Drohung, den zuständigen Beamten übel mitspielen.

Eiligst wurde eine Sonderkommission mit Namen „Seriensexualstraftäter“ eingesetzt. Ohne Erfolg. Gegen Samstagabend wurden die Ermittelnden nervös, sie kamen keinen Schritt voran. In ihrer Not baten sie den Hauptkommissar Brendel vom Raub- und Morddezernat um Hilfe. Brendel, Spitzname K 2, ließ sich die Akten nach Hause faxen. Kurz nach 23 Uhr hatte K 2 den Namen des Sexualstraftäters aus den Indizien herausgefiltert. Reine Kombination, wiegelte er am Telefon ab.

Der Rest war Routine.

 

 

Die richtige Frage

Die Leiche war bereits skelettiert. Matt schimmerten die Gebeine in dem rohen Bretterkasten, der in das Erdloch eingelassen war. Der Deckel, der das Erdloch provisorisch bedeckt hatte, war zur Seite geschoben worden und lag jetzt neben der Grabstätte, die zweifelsfrei Zeuge eines Verbrechens wider alle Vernunft geworden war. Nur durch Zufall war das Grab entdeckt worden, von dem Terrier des Rentners Emil Borwinkel, der heute Morgen einen anderen Weg genommen hatte als sonst, auf seinen Spaziergängen durch den Stadtwald in Richtung Kiosk, wo er sich einen Aperitif zu genehmigen erlaubte. Wäre es mit rechten Dingen zugegangen hätte Borwinkel die heutige Strecke nicht gewählt, und das Verbrechen wäre wohl niemals entdeckt worden. Aber seine Frau musste ja unbedingt darauf drängen. Auf diese ihm verhasste Wegstrecke, die durch Gestrüpp führte, mit unberechenbaren Schlammlöchern, den glitschigen nassen Herbstblättern und den herabhängenden Zweigen, vor denen er sich in Acht nehmen musste. Ein Umweg zum Kiosk war es auch noch, aber davon und erst recht vom Aperitif durfte seine Frau nichts wissen.  

Um das Gestänker seiner Frau zu beendigen hatte Borwinkel zugestimmt. Nicht nur zum Schein, denn sie kontrollierte vom Schlafzimmerfenster aus, welche Richtung er einschlug. Warum aber bestand sie ausgerechnet auf diesen Weg? Wie kam es, dass sie, die ihn und den Terrier noch nie begleitet hatte, diesmal seine Route bestimmen wollte? War sie hinter sein Geheimnis gekommen?

Nachdenklich stand Hauptkommissar Brendel, Spitzname K 2, vor dem Erdloch. Die Frage war nicht, was Frau Borwinkel ihren Mann dazu getrieben hatte, diesen Weg zu nehmen. Die Frage war, warum die Leiche verwesen konnte, der rohe Sarg dagegen vollständig erhalten war; keine faule Stelle im Holz, kein Wurmbefall.

Man musste nur die richtige Frage stellen. Und K 2 stellte die richtige Frage.

 

 

Die Buchstaben des Gesetzes

Wenn das Verbrechen auch unter den Teppich gekehrt worden war und die Öffentlichkeit bis auf den heutigen Tag keinerlei Notiz von dem entsetzlichen Ereignis genommen hatte, so war doch nicht zu leugnen, dass unterschwellig eine furchtsame Stimmung in die Gemüter zog, die von einem nicht näher zu beschreibenden Grauen kündete. Speziell im oberen Abschnitt der Beethovenstraße fingen die Einwohner an, sich unbehaglich zu fühlen. Wenn sie zum Edekaladen Ecke Mozartstraße gingen, sahen sie sich verstohlen um, beschleunigten den Schritt, hielten sich nicht mit einem Schnack auf und strebten nach vollzogenem Einkauf unverzüglich nach Hause, schlossen die Tür hinter sich mehrfach ab. Einige hatten zusätzlich Vorhängeschlösser an ihre Eingangstür angebracht, auch schwere Riegel und unter den Klinken wurden Besenstiele gestellt und fest verkeilt. Die Fenster wurden nur kurz auf Kippe gestellt, dabei ständig beobachtet. Nachts lauerten die Mieter in den Wohnblocks auf verdächtige Geräusche, und die gab es zu jeder Stunde, mal ein Klirren wie von Fensterscheibenbruch, mal ein schlurfendes Kratzen nahe der Veranda unten, mal ein unterdrücktes Keuchen. Frau Besselbach aus der Nummer17 behauptete, sie habe einen Schuss gehört, in der Nacht zum 5. März. Die Familie Schirkenreit nebenan bestritt dies und führte als Erklärung an, sie habe keinen Schuss, sondern einen Fehlstart eines alten Opel Kadett vernommen, gefolgt von einem Fluch aus Männerkehle und dem gurrigen Lachen eines Flittchens. Lehmanns von der anderen Seite bestritten diese Version, da sie, allen voran Opa Ludwig, auf den Fensterbänken gelegen hätten und somit jedes verdächtige Einzelgeräusch ins Logbuch eingetragen hätten. Auf den Seiten vom 3. bis zum 6. März habe es aber nur ein Gejaule gegeben bzw. ein Jaulnotat, welches anschwellend gewesen sei, also das Gejaule, nicht das Notat, aber nicht so anschwellend, dass daraus eine Gelegenheit zur Strafanzeige sich hätte konstruieren lassen.

Hauptkommissar Brendel, Spitzname, K 2, las sich die Aussagen gewissenhaft durch, trotz der offenkundigen Verwirrtheit der Zeugen. Ihm schwante, dass er dem Verbrecher des Verbrechens in der oberen Beethovenstraße keine weitere Gelegenheit mehr geben durfte, die eigentlichen Drahtzieher des Massakers zu enttarnen. Der Fall war damit praktisch aufgeklärt. Jedenfalls nach den Buchstaben des Gesetzes.      

 

 

 

 

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