Hans Joachim Teschner

 

 

Kompendium des

Wissens

 

Band 3

 

 

 

Den Plattfuß flicken

Einen Steckschuss entfernen

Einen Zahn ziehen

Fisch braten

Die Aufbewahrung der Schuhe

Urlaub am Badesee

Die Zahnpflege

Den Tannenbaum schmücken

Der Wochenmarkt

Die Ersatzreligion

Den Kamin anzünden

 

Den Plattfuß flicken

Das Flicken des Plattfußes eines Fahrradreifens wird auch als 5-Stufen-Methode bezeichnet.

1. Stufe: Man pumpt den defekten Reifen auf und taucht diesen sofort in ein Wasserbad. Dort, wo Blasen aufsprudeln, vermutet man das Loch.

2. Stufe: Der Reifen wird aus dem Wasser gezogen.

3. Stufe: Der nasse Reifen wird mit einem Lappen abgewischt.

4. Stufe: Man sucht die Stelle mit dem Loch, findet sie aber nicht wieder.

5. Stufe: Der Vorgang des Flickens wird ab Stufe Eins wiederholt .

 

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Einen Steckschuss entfernen

Die Fähigkeit, einen Steckschuss fachgerecht zu entfernen, darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden und sollte täglich aufgefrischt werden. Denn jederzeit kann es zu der Kalamität kommen, dass wir einem Steckschuss aufsitzen. Besondere Obacht sollte man bei folgenden Gelegenheiten walten lassen:

In der Schule: Missgünstige Klassenkameraden richten allzu oft ihre abgesägten Schrotflinten auf den Streber, auf den verhassten Klassensprecher oder im Fall seiner Abwesenheit auf die Englischlehrerin.

Auf der Straße: Die Gefahr, zwischen die Fronten eines Rockerbandenkrieges zu geraten, ist praktisch unabwendbar. Da fliegen die Kugeln und ein harmloser Flaneur wird unversehens zum Auffanglager von Steckschüssen der unterschiedlichsten Kaliber.

Im Schlafzimmer: Wie so oft verirrt sich auch diese Nacht eine Kugel, die dem Nachbarn galt, durchschlägt das Fenster und nistet sich als Steckschuss im Oberarm des Schlummernden ein.

Auf der Spitze eines Berges: Hubschrauber kommen um die Ecke und feuern Salven von Bleigeschossen in die Gegend. Schutzlos ist der Bergsteiger dem Geprassel ausgeliefert, und nun heißt es, ganz allein auf sich gestellt die Kenntnisse zum Entfernen von Steckschüssen anzuwenden.

Im Büro:  Dort herrscht Friede und trockenes Geraschel. Plötzlich stürmt ein Wahnsinniger durch die Tür und verpasst dem Beamten einen Steckschuss. Aber dieser kennt seine Paragrafen und entfernt vorschriftsmäßig das Ungemach aus seinem Schenkel.

Zahllose Beispiele aus dem Alltag beweisen, dass es nirgendwo ein Örtchen gibt, welches vor dem Steckschussbefall sicher ist. Der Erdenbürger muss erst noch geboren werden, der frei von Steckschüssen sein Leben abarbeitet.

 

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Einen Zahn ziehen

Bevor man einen Zahn zieht, muss man prüfen, ob der Zahn noch vorhanden ist oder schon bei der vorherigen Aktion beseitigt wurde. Im letzteren Fall muss der Nachbarzahn daraufhin untersucht werden, ob bei ihm ein Makel festgestellt werden kann, der mit herkömmlichen Hausrezepten nicht behoben werden kann. Man erwäge dabei das Gurgeln mit einem Kräutertee oder das Aufbohren der Schwachstelle. Ist das Ergebnis negativ, oder genauer gesagt, positiv, sofern man das Vorhandensein eines nicht reparablen Makels als positiv in dem Sinne ansieht, bei dem das Auftreten des Makels an sich als positives Ereignis gewertet wird im Gegensatz zu einem Ergebnis, das wegen des Nichtvorhandenseins von Daten, die auf einen eventuellen Makel hindeuten, als negatives Ergebnis ausgerufen wird,  will heißen, dass das Positive an der Angelegenheit in diesem Fall im Negativen des Inhaltes besteht, welches sich quasi auf der Metaebene positiviert, ist also dieses Merkmal zureichend bestätigt, dann muss dem Begriff „positiv“ korrekterweise bescheinigt werden, dass er erst durch das Auftreten des Negativen konstituiert wird. Dies gilt es zu beachten, wenn der Nachbarzahn stellvertretend für den schon abhanden gekommenen Zahn gezogen werden soll.

Siehe auch "Die Zahnpflege"

 

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Fisch braten

Man sollte es nicht für möglich halten, welche Fallstricke dem Gutwilligen in den Weg gerollt werden bei seinem Anliegen, einen Fisch zu braten. Der Hindernislauf beginnt bei der Wahl der Fischsorte: Soll es der gemeine Seelachs sein, die teure Kutterscholle oder aber der thailändische Pangasius, der in den Medien mit allerlei Verrufen und warnenden Fragezeichen etikettiert worden ist? Wir zögern. Wir stehen vor der mit Eiswürfeln eingebetteten Auslage des Fischgeschäftes und vergleichen die Preise. Hinter uns zwei robuste Hausfrauen, die bereits misslaunige Kommentare über die Verzögerung ihres Kaufvorhabens von sich geben. Ungeduldig auch die Fischverkäuferin. Sie verweist auf den Seelachs, der wird immer gern genommen. Wie denn das geschmackliche Erlebnis der Kutterscholle ausfalle, erkundigen wir uns. Eher etwas für den Sonntag, kommt es von hinten, und Gräten, man müsse mit Gräten rechnen. Vorne rührt die Fischverkäuferin den Heringssalat um. Mit dem Pangasius mache man nichts falsch, ruft sie. Wir erwähnen das Umweltproblem. Welches Umweltproblem, der Pangasius käme aus der Fischzucht. Vielleicht wolle man es sich noch einmal überlegen. „Dann hätte ich gern 475 g Seelachs“, dringt es schnell von hinten durch, „für zwei Personen muss das reichen.“ Die Miene der Fischverkäuferin hellt sich auf, und sie wiegt behende 493 g Seelachs ab. „Das kriegen zwei Personen dicke herunter“, sagt sie. Wir aber haben versagt. Einen Fisch braten, das können wir abschreiben.

 

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Die Aufbewahrung der Schuhe

Die einfachste Art, Schuhe aufzubewahren, ist, sie unten in den Kleiderschrank zu werfen. Dann hätte man Kleider und Schuhe in einem Rutsch zur Hand. So weit, so praktisch, wäre da nicht die Hausfrau, die Worte des Entsetzens und des Ekels ausspricht. Pilzbefall wird erwähnt und Schuhwichsreste am Abendkleid. Eine gewissenhafte Hausfrau wirft Schuhe nicht wahllos zu den Kleidern, sondern sortiert sie. Es gibt mehrere Ordnungssysteme, um Schuhe zu sortieren. Man kann sie z. B. nach Jahreszeiten trennen. Im Winter werden die Sommerschuhe in Schuhkartons gepackt und in die dafür vorgesehene Lücke des Regals verstaut. Dabei wird wie schon im Vorjahr festgestellt, dass ein Karton fehlt, weshalb ein Paar Winterschuhe übrigbleiben, die unverpackt zwischen die Kartons geklemmt werden müssen. Die Hausfrau bezichtigt andere Familienmitglieder, den fehlenden Schuhkarton verschlampt zu haben. „Jetzt können wir sehen, wo wir bleiben“, lamentiert sie. „Meine Schuld ist es nicht“, sagt sie. Die anderen Familienmitglieder müssen nun einen Winter lang mit der Schuld leben. Bei Anbruch des Sommers wiederum müssen die Winterschuhe in Kartons gepackt werden, und dabei wird festgestellt, dass ein Paar Schuhe ohne Karton übrigbleibt. „Das war ja zu erwarten“, sagt die Hausfrau. „Aber auf mich hört ja keiner“, fügt sie hinzu. Die Schuldfrage wird zwar nicht aufgeworfen, aber die anderen Familienmitglieder wissen, dass die Hausfrau nicht verantwortlich ist für die Misere des fehlenden Schuhkartons, und sie können sich an drei Fingern abzählen, wer den ganzen Sommer lang mit der Schuld leben muss.

 

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Urlaub am Badesee

Eine der schönsten Freuden des menschlichen Daseins besteht darin, den Jahresurlaub am Badesee zu verbringen. Dort lässt man die Seele baumeln und betreibt Körperstudien. Man stürzt auch mal ins Wasser, und die Kinder lassen es sich nicht nehmen, einen strammen Strahl unter die Wasseroberfläche zu pinkeln. Freilich, niemand bemerkt den Strahl, gewissermaßen zum Glück für die strullernden Kinder, denn das Bemerken des Strahls durch Badegäste würde diesen die Urlaubsstimmung vergällen. Gespräche mit den Eltern der unbotmäßigen Kinder werden gesucht und zu keinem befriedigenden Ende geführt. Einige Badegäste behaupten, einem Gräuel ausgesetzt zu sein, wenn sie nur an die pinkelnden Kinder dächten. Ins Wasser könne man guten Gewissens nicht mehr steigen, da hätte es Kolibakterien und ausschlagerzeugende Verunreinigungen zu bedenken, und ein fleischlicher Herr behauptet sogar, ihm würde das Fäkalische im ansonsten romantischen Badesee ein irreparables Trauma bescheren. Seine ebenso fleischliche Ehefrau will nicht ausschließen, dass solcherlei sich ins Chronische ausweiten könne. Auch ein Ehepaar aus Nordrhein-Westfalen mischt sich kräftig ein und führt das Argument, dass es früher so etwas nicht gegeben hätte. Der Badesee sollte für Kinder, die sich erdreisten, ins Wasser zu urinieren, von vornherein verboten werden. Nun aber, da das Schlimmste passiert sei, könne man sich den Urlaub abschminken.

Glücklicherweise aber hat ja niemand den Pinkelstrahl unter der Wasseroberfläche bemerkt, und so ist der Urlaub am Badesee fürs erste gerettet.

 

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Die Zahnpflege

Um Wesen und Wert der Zahnpflege in angemessener Weise zu würdigen, bedienen wir uns einer Methode, die die Konturen der hygienischen Obliegenheit zu schärfen imstande ist. Es ist die Methode des Vergleichs, der Gegenüberstellung von Sein und Nichtsein, von Haben und Soll, von Errungenschaft und Stagnation. In unserem Fall vergleichen wir den zahnlichen Zustand einer Population, die der Zahnpflege affirmativ zugewandt ist, also unserer zivilisatorischen Gesellschaft, mit der einer unwissenden, ja sich verweigernden Population, die wir nicht anders als Wilde bezeichnen müssen, als noch im Jahrtausend des Dunkels vor sich hin mümmelnde Urwesen.

Hie also, nennen wir ihn ruhig beim Wort, der Gebildete, der den Kulturbeutel schwingt, dort der Wilde im Baströckchen. Hie der über ein Arsenal erlesener Hilfsmittel Verfügende als da sind Zahnbürste, Zahnpasta, Zahnseide, Interdentalbürste, Mundwasser, entkeimende Sprudeltabletten und antibakterielle Spezialcremes, dort der Wilde, der auf Wurzelzeug und Kokablättern kaut. Über das Ergebnis auf Zahnfleisch und Mundflora brauchen wir uns nun keine Gedanken mehr zu machen, denn wer wollte den Vorsprung an Zahnpflege bestreiten, den der kulturell Überlegene dem Wilden um Zahneslänge voraus ist, um es mal flapsig auszudrücken.

Siehe auch „Einen Zahn ziehen

 

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Den Tannenbaum schmücken

Einen Tannenbaum schmücken zählt zu den beglückendsten Aufgaben eines Familienvaters, wohl auch der Familienmutter und im besten Fall der insgesamt aufgelaufenen Familienelternschaft. Buntfarbige Kugeln werden aus dem Zeitungspapier geraschelt, ein Strohstern fällt in die Sofaritze, drei Zierengel flattern flügge in das Nadelgrün, und der treue Schäferhund Wotan trägt sein Schäflein zum Fest der Sinne bei, indem er die Katze durch das Lametta scheucht, sie von hinten packt und ihren Schwanz als Trophäe...

Aber nein, so weit darf es natürlich nicht kommen am heiligen Abend des Friedens. Lametta gilt ja eh als verpönt wegen des quecksilbrigen Anteils an ausflockendem Gift, und auch Kerzen sind so was von mega-out bzw. No-Go, da muss die Lichterkette her, und wenn der Familienvater schließlich den Sonnenaufgang von Also sprach Zarathustra anstellt auf dem altertümlich holzfurnierten Plattenspieler, wenn also die Kratzscheibe als Retroritual der Gemütlichkeit auf dem Plattenteller schlingert und die Fanfaren als Startschuss bzw. Signalklappe der Bescherung aufschmettern und die Pauken bollern, dann kann auch der Katzenschwanz ruhig mal zur Geltung kommen und dem schon irgendwie enttäuscht hechelnden Wotan zwischen die Fletschzähne geschoben werden.

 

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Der Wochenmarkt

Einen Wochenmarkt betreten heißt, in ein paradiesisches Universum an Gerüchen und Gesprächen einzutauchen. Links eine Fleischwurstvariante des Metzgers vom Lande, rechts die Fettwolke des frisch in die Fritteuse geworfenen Herings, hinten ein guter Schweißgeruch, der sich heranpirscht auf der Suche nach einem Schnäppchen im Gemüseunterstand, vielleicht eine günstige Knolle Knoblauch erwerben, das verdrängt den einen Geruch durch den anderen und keinesfalls in geringerer Strenge, kann es ein bisschen mehr sein, sind die Möhren frisch, wissen sie eigentlich, dass Georg Materna von der Raiffeisenbank gestern eingeliefert worden ist, die Leber, war ja klar bei dem Konsum, die arme Ehefrau, ein Gläschen zu viel und schon wird man eingeliefert, so schnell geht es, wenn man nicht aufpasst, ehe man sich's versieht, wird man eingeliefert, und man kann froh sein, dass noch eine Spenderleber oder sagt man Leberspende auf einen wartet, sonst kann man zusehen wie man klarkommt, und der Aufwand mit der Einlieferung war für die Katz, wenn sie wissen, was ich meine, da beißt kein Hund seinen Schwanz ab oder wie sagt man noch, drüben am Glühweinstand natürlich die Marie-Luise Nösinger von der Schnellreinigung, wenn die man nicht demnächst eingeliefert wird.

 

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Die Ersatzreligion

Die Anzahl der Ersatzreligionen geht schier ins Unermessliche. Wer eine auf seine Persönlichkeit zugeschneiderte Ersatzreligion sucht, findet sich oft in der Unmenge der Angebote nicht zurecht. Es wird dringend empfohlen, als erstes eine Gliederung zu erstellen, die Aufschluss darüber gibt, welche Zielrichtung eingeschlagen werden soll. Vor Aufstellung der Gliederung ist es ratsam, eine ungeordnete Liste der religiösen Begehrlichkeiten aufs Papier zu bringen, meinetwegen auch in den Laptop zu tippen, obwohl, und hier kann der warnende Zeigefinger nicht warnend genug erhoben werden, das kalte Ambiente um solch technisches Gerät den Gefühlsstrom, man kann ihn als Lavastrom der Intuitionen nennen, in einengender Weise überschatten könnte.

Ist die Liste einmal erstellt, geht es an das Sortieren. Wünsche ich erweckt zu werden? Dann sollte der Schwerpunkt auf Bekehrung liegen. Welche Ersatzreligion verfügt über die meisten Bekehrungen, welche Religion dagegen rückt nur das Beten und Anpreisen von Heiligkeiten in den Mittelpunkt?

Verwegen aber wäre es, nur auf eine einzige Ersatzreligion zu setzen. Ihrer sollten es schon drei sein, allein wegen der Möglichkeit, dass die präferierte Ersatzreligion sich klammheimlich als Vollreligion herausschält, die dem Interessenten nur vorgegaukelt hat, sie stehe als Ersatz zur Verfügung. Da trifft es sich gut, wenn auf weitere Angebote zurückgegriffen werden kann und somit die Betätigung innerhalb eines religiösen Umfeldes gewährleistet ist. Die vorgebliche Ersatzreligion aber, die sich wohlfeil wie eine Straßendirne zum Discountpreis anbietet, kann man getrost zum Teufel jagen.


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Den Kamin anzünden

Die Regeln, die vorschreiben, wie man einen Kamin fachgerecht anzündet, gleichen sich in vielen Details. Eingehend wird das Anbrennen bzw. Entfachen erläutert, das effiziente Aufschichten der Holzscheite, der Einsatz von Brandbeschleunigern usw.

Außer Acht gelassen wird bei alledem, dass der Kamin gar nicht angezündet wird. Um einen Kamin anzuzünden bedarf es einer extrem großen Hitze, denn der Kamin widersetzt sich. Wir kennen Kamine, die überhaupt nicht brennbar sind, und die Enttäuschung geht ins Unermessliche. Lieber sollte man sich ein anderes Objekt zum Anzünden aussuchen. Mit einem reibungslosen Abbrand weiß der Wohnzimmerschrank für sich einzunehmen, wohingegen das Bücherregal durch langatmiges Kokeln keine Freude aufkommen lässt.

 

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Der Schnellkochtopf

Viele Menschen haben Angst vor dem Schnellkochtopf. Er wird zweifellos explodieren, behaupten sie und schließen schnell die Küchentür hinter sich, um im Flur darauf zu warten, dass ihre Vorhersage eintrifft.

Andere Menschen glauben, dass der Stöpsel, der nach einer Weile aus dem Deckel hervortreten soll, in Wahrheit eine Art Geschoss ist, eine Patrone, die bei einem Überschreiten eines nicht vorhersehbaren Hitzegrades senkrecht in die Luft schießt, durch die Küchendecke schlägt und ein zugiges Loch hinterlässt, welches Mäusen und anderem Ungeziefer Einlass gewährt, zum Hohn der Hygienevorschriften, die in der Küche obwalten sollten.

Es gibt auch Menschen, die sich als Befürworter des Schnellkochtopfes aufschwingen. Sie wiegeln ab. Nach dem Garen des Gemüses müsse man ja den Deckel des Topfes mit kaltem Wasser bespritzen. Dabei würde ein Zischen aus dem Ventil entweichen, ein schneidendes Geräusch, das die Mäuse und das Ungeziefer aufschreckt, da sie es für das Fauchen einer in mörderischer Absicht herbeijagenden Katze halten. Aus Furcht vor der Bestie würden sie schleunigst wieder durch das Loch in der Decke auf den Dachboden flüchten.

Wissenschaftler sind sich einig, dass es keine Gewissheit darüber gibt, was in einem Schnellkochtopf vor sich geht. Wir haben es mit einer Blackbox zu tun, geben sie zu Bedenken, in der alles möglich ist bis hin zur Kernschmelze.

 

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 Die Packungsbeilage

Mit der Packungsbeilage bzw. dem Beipackzettel haben die Arzneifirmen dem Kranken ein tückisches Objekt ins Siechenbett gelegt. Bereits beim Auspacken kämpft der geschwächte Körper mit dem Auseinanderfalten und Glattstreichen des meterlangen Zettels. Immer wieder will das Papier sich zusammenziehen wie der Blasebalg einer Ziehharmonika, und bis das Papier in stabiler Seitenlage verharrt, sind zahlreiche Versuche vonnöten. Dem davon Ermatteten fallen zwischendurch die Augen zu, ein Zustand, der die lebensbedrohliche Gefahr in sich trägt, dass der Erholungsschlaf wegen der großen Erschöpfung des Kranken einem Koma weicht, aus dem es vielleicht kein Erwachen mehr gibt.

Die kleingedruckte Schrift auf dem Beipackzettel erweist sich zudem als unlesbar für Leute, die ihre Lesebrille auf dem Küchentisch haben liegen lassen und nun hilflos in den  durchgeschwitzten Laken darüber grübeln, was auf sie zukommt, wenn sie die Tabletten schlucken, abgesehen davon, dass sie nicht wissen, wie viel sie davon einnehmen sollen.

Das dicke Ende kommt noch. Denn in seiner existenziell gefährdeten Situation möchte der Kranke nicht auch noch den Zorn des gestrengen Hausarztes auf sich laden, der, wenn er Stunden zu spät an das Bett des Röchelnden tritt, keineswegs einen unaufgeräumten Platz vorfinden möchte. Also knittert der schon das Jenseits Erblickende mit zitternden Fingern die Packungsbeilage wieder in seine ursprüngliche Form, um sie passgenau in die Schachtel zurückzulegen. Doch er verheddert sich, Versuch für Versuch. Die Knicke scheinen sich verschoben zu haben, denn die Lamellen wollen sich partout nicht in die alte Ordnung fügen. Nein, die Ziehharmonika klappt stets wieder auseinander. Mit der letzten ihm verbleibenden Kraft versucht der um seinen guten Ruf Fürchtende das widerspenstige Papier gewaltsam in in neues Faltsystem zu zwingen. Es entstehen zusätzliche Knicke, Parallelkanten, auch überstehende Ecken, aber immerhin, der Patient schafft es, den Beipackzettel vollständig  in die Schachtel zu quetschen. Die Pillendose, die auch noch in die Schachtel gehört, hat neben dem Papierwust allerdings keinen Platz mehr. Da sinkt der letzte Lebensmut und es bricht das Auge des Enttäuschten.

 

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Der Verkehrsfluss

Der Verkehrsfluss gilt als ärgerliches Hindernis für den Fußgänger, der die Straße überqueren möchte. Auch der Radler hat seine Mühe. Jene Mitbürger, die genötigt sind, aufgrund ihrer sich abzeichnenden Gebrestigkeit einen Rollator zu schieben, auf den sie sich abstützen können, um nach einem dem Alter angemessenen Streckenabschnitt eine wohlverdiente Verschnaufpause einzulegen, jene Bürger sind, um der Wahrheit das Ehrenwort zu geben, nicht zu beneiden, solange der Verkehrsfluss unvermindert anhält. Wütende Protestbriefe an das Verkehrsministerium, geschrieben mit zittrigen Fingern, lösen keine Verminderung des Verkehrsflusses aus. Dort, in den schicken Büros abseits der Problemzonen, werden die Eingaben mit dem Vermerk „Zur Kenntnis genommen“ abgestempelt. Anschließend erläutert der Abteilungsleiter den Vorgang mit den Worten „Wer Verkehrsfluss sagt, muss auch B sagen.“

 

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Das Fliegengitter

Das Fliegengitter kann zur tödlichen Falle werden. Sollte einmal ein Schwarm Mücken hereinbrechen, was der Herrgott verhindern möge, dann könnte etwas passieren, woran die Hersteller des Fliegengitters nicht im Traum gedacht haben, nämlich die völlige Vernichtung nicht etwa nur des Mückenschwarms, sondern zugleich des Gitters, was wiederum Siechtum und abschließendes Ableben der arglosen Zimmerbewohner zur Folge hat. Denn der Mückenschwarm bemerkt zwar in letzter Sekunde die undurchdringbare Barriere, kann aber nicht mehr rechtzeitig abbiegen. Hier muss ein Versagen der vielbeschworenen Schwarmintelligenz konstatiert werden. Diese scheint ohnehin überbewertet zu sein, wenn man sich einmal die unzähligen Mückenschwarmhavarien an Fliegengittern zu Gemüte führt. Die Vorfälle geben eher Anlass zu der Vermutung, dass es die Schwarmintelligenz entweder nicht gibt oder aber, dass sie mit einem kaum messbaren niedrigen Intelligenzquotienten ausgestattet wurde. In beiden Fällen scheint es angemessen, die als Schwarmintelligenz definierte Schwarmdummheit bei der Evaluation von Fliegengitterhavarien außer Acht zu lassen.

Kommen wir zum betrüblichen Schluss: Durch den Aufprall der Mückenrotte verkleben binnen Sekundenschnelle die Maschen des Fliegengitters. Eine Art Melasse aus winzigen Blutströpfchen und insektischen Korpuskeln vermauert das Fenster auf ewig. Der auf dem Sofa hingestreckte Mittagsschläfer fährt auf und ringt nach Luft. Vergebens. Wochen später vielleicht dringt der Nachbar ein und stößt auf Mumie, Dunkelheit und abgestandene Luft.

 

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Pilze sammeln – aber richtig

Viele Menschen sind schon an Giftpilzen gestorben. Deshalb sollte man beim Pilzesammeln nur ungiftige Pilze in die engere Wahl ziehen.

 

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Die Mehlschwitze

Die Zubereitung einer Mehlschwitze gilt als die Königsdisziplin der internationalen Kochkunst. Der legendäre Chef du Cuisine und Hohepriester Paul Bocuse soll täglich zwei Stunden lang über die optimale Zusammensetzung einer Mehlschwitze gebrütet und darüber den Verstand verloren haben. Kein Gourmetpapst, kein Restaurantkritiker vergibt auch nur einen müden Michelinstern, wenn die Mehlschwitze versaut ist und Klümpchen den Gaumen beleidigen.

Überhaupt Klümpchen: Das Maß für eine gelungene Mehlschwitze wird auf der oben offenen Klümpchenskala angezeigt. Je weniger Klümpchen ausgesiebt werden, desto niedriger der Klümpchenpegel, desto hochwertiger die Mehlschwitze. Der Weltrekord liegt derzeit bei zwei Klümpchen auf einen Kubikmeter Schwitze.

Der Todesstoß für einen jeden Koch aber ist der Nachweis oder auch nur die Vermutung des Kritikers, dass seiner Mehlschwitze mit einem Soßenbinder nachgeholfen wurde. Ein Frevel, der ein Fracksausen verursacht, welches die Windstärke 11 um eine Potenz mehrfach übersteigt.

Über das optimale Verhältnis von Butter zu Mehl kursieren abenteuerliche Theorien. Die Nouvelle Cuisine bevorzugt eine Schwitze, bei der die Butter durch frisch gelegte Bio-Eier ersetzt wird. Die Haute Cuisine spricht sich hingegen für ein 50 zu 50 Verhältnis aus, während Omas gute alte Mehlschwitze einen Butteranteil von 98% nicht unterschritt.

Wer aber den Olymp der 3-Sterne-Küche erklimmen will, hat mit einer gelungenen Mehlschwitze die Götter auf seiner Seite.

 

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In der Nahkampfzone

Unwissende, die sich in die Nahkampfzone begeben, halten es für notwendig, die Hände vor das Gesicht zu halten. Sie wähnen sich in dem Glauben, dass sie damit Boxhieben Paroli bieten können, die der Kontrahent ausheckt, um ihr Nasenbein zu zertrümmern.

Welch trügerische Hoffnung! Es ist im Gegenteil ratsam, ja für die eigene Gesundheitsvorsorge unabdingbar, die Hände in die Hosentaschen zu stecken und dem Gegenüber, der sich mit akkuraten Fauststößen, tänzelnder Beinarbeit und linken Haken für die bevorstehende Nasenbeinzertrümmerung aufwärmt, darauf hinzuweisen, dass es der zivilisatorischen Übereinkunft entspricht, der Gewalt abzuschwören. Argumente, so sollte man sanft aber bedeutsam reflektieren, haben noch immer den längeren Atem für sich gewinnen können.

In der Nahkampfzone aber, so sollte man den Gedankengang fortspinnen, entscheidet es sich, ob der Mensch allen Ernstes gedenkt, an Gottes Ebenbild herumzubasteln – denn Gott hat den Menschen nach seinem Bilde geschaffen –, ob also der Mensch die Nase Gottes zu zertrümmern gewillt ist.

Da verschrumpelt die Faust des Nasenbeinzertrümmerers zu einem kleinen Häufchen Elend. Mit moralisch erhobenen Haupt verlasse man die Nahkampfzone und beglückwünsche sich selbst zum Sieg über die Vernunft.

 

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Der Nussknacker

Zu Zeiten des Winters und der hereinbrechenden Weihnachtstage, da begeben sich die Menschen an einen Ort der Besinnlichkeit. Es ist die mit flackerndem Kerzenschein warm ausgeleuchtete Wohnküche. Eine Schale Nüsse – hie Hasel-, dort Walnuss – säumt die Tischmitte, und der Nussknacker hat Stellung bezogen und harrt seiner Dinge.

Beklommen und schweren Herzens nimmt das Menschenkind das Gerät in seine Hand. Werden nach getaner Knackarbeit wieder Blutstropfen aus den Fingern quellen, wird die gequetschte Hand verbunden werden müssen, wird ein Hämatom auf dem Daumen wachsen?

Wir wissen es nicht. Wir hoffen auf eine Wendung des Schicksals. Insgeheim aber ahnen wir, dass, wie zu jeder Weihnachtszeit, Schmerzensschreie durch die Wohnküche hallen werden. Wir schließen die Augen, sprechen ein kurzes Gebet und drücken zu.


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Mülltrennung

Die Kalauer über die von deutscher Hand initiierte Mülltrennung reißen nicht ab. Kabarettisten, Comedians, Cartoonisten und Witzeerzähler jeglichen Niveaus bereiten dem Zuhörer bzw. sowohl als auch Zuschauer das Missvergnügen, ein Lachen im Halse stecken bleiben lassen zu müssen, gefolgt nicht selten von Erstickungsanfällen, die die Heimfahrt in die ewige und lang ersehnte Ruhe vor Witzbolden und Schenkelklopfanimateuren einleiten, bis das der Tod dieses von Kolumnisten verwüstete Jammertal nur noch als vergessenes Fleckchen Ärgernis in der Ferne des Universums glimmt. Da kommt noch nicht einmal Schadenfreude für die Zurückgebliebenen auf, wer wollte sich schon am Leid seiner Mitmenschen delektieren.

Statt auf dem flügellahmen Gaul der Mülltrennung zu reiten werden wir uns dem Winterdienst zuwenden, der jedem Mitbürger aufgelastet ist. Hier herrscht Krieg. Fronten verhärten sich, Rivalitäten brechen auf. Soll das Glatteis mit Salz bestreut werden oder mit Sand? Oder mit Asche oder mit Katzenstreu? Oder mit Senf oder mit Seife? Oder mit Lehm oder mit Pfeffer? Oder mit Vogelfutter oder mit Semmelbrösel? Oder mit einem heißen Windstrahl aus dem Haarföhn oder mit Abfall aus der gelben Tüte? Oder mit einer Wolldecke oder mit 80%-igem Alkohol? Oder mit Borsten aus Naturhaar oder mit Borsten aus Kunstfasern? Oder mit Mäusekot oder mit Weizenmehl? Oder mit dem Abrieb von Bremskolben oder mit dem Abgang eines Magen- und Darmkranken?

Wir wissen es nicht.

 

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Die Schweigeminute

Ein ernstes Thema. Schweigeminuten werden abgehalten, um einem oder mehrerer Opfer zu gedenken. Es bleibt dem Schweigenden vorbehalten, ob er dabei den Kopf hängen lässt. Sollte vor der Schweigeminute von den zu Schweigenden nicht verabredet worden sein, wer die Schweigeminute wieder aufhebt bzw. das Wiederaufnehmen von Geräuschen zuzüglich der Wiederaufnahme von Gesprächen signalisiert, kann es zu Irritationen kommen. Es ist auch nicht damit getan, die Schweigeminute wörtlich zu nehmen, also exakt 60 Sekunden verstreichen zu lassen. Manch einer, der seinen Smartphoneweckruf dahingehend eingestellt hatte, musste böse Überraschungen auf sein Konto schreiben. Es wurden hie und da Versuche unternommen, die 60 Sekunden innerlich, also insgeheim abzuzählen. Dabei kam es zu unterschiedlichen Zeitlängen, denn einige Teilnehmer der Schweigeminute hatten ein zu forsches Tempo aufgelegt und kamen zu früh am Ziel an. Andere hatten nicht bedacht, die ein- und zweisilbigen Zählzeiten auf die gleiche Länge zu dehnen wie die viersilbigen Zeiten und dadurch einen nicht zu billigenden Vorsprung erhascht. Inzwischen ist man davon abgekommen, bis 60 zu zählen, und heutzutage sind die Teilnehmer der Schweigeminute dazu angehalten, während des stillen Gedenkens den Signalgeber genauestens zu beobachten, um nicht den Punkt zu verpassen, wo er den Startschuss zum Beenden des Gedenkens abfeuert, um es bildlich auszudrücken. Allerdings kann es bei diesem Verfahren vorkommen, dass die Schweigeminute mehrere Minuten lang anhält, nämlich dann, wenn der Signalgeber so sehr in seinem Gedenken versunken ist, dass sein Stellvertreter ihn unbemerkt anstoßen muss, damit er seines Amtes walten kann und die Trauerfeier nicht über die Strenge schlägt.

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Mullbinde oder Pflaster

Mit der Frage, ob wir seine blutende Wunde mit einer Mullbinde oder einem Heftpflaster versorgen sollen, können wir den Verunfallten unser aufrichtiges Interesse bezeugen. Je nach Schwere des Falls, wobei hier nicht der Fall vom Fahrrad gemeint ist sondern der Schadensfall, der durch das heraussickernde Blut hinreichend nachgewiesen wird – dabei sollte dem Zeugen und potentiellen Helfer klar sein, dass der Vorgang gerichtlich relevant werden könnte und ein paar Fotos vom Tatort sowie von der Wunde dienlich sein könnten, wenn nicht gar urteilsentscheidend in Anbetracht der zu erwartenden Schadensausgleichsumme, abgesehen vom Schmerzensgeld unbestimmter Höhe, ja dass sich das Foto sogar als Beweisstück schlechthin herausstellt, –  muss man einräumen, dass die Reihenfolge der Handlungen umgestellt werden muss mit Priorität auf das Zücken des Smartphones oder auch der Digitalkamera, sofern greifbar. Aufgrund der in diesem neuen Licht aufscheinenden Situation kann die Frage nach Mullbinde oder Pflaster eine Wendung einläuten, die das Positive einer voreilig beabsichtigten Hilfeleistung zumindest einer Prüfung unterzogen werden muss.

 

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Der Schnellkochtopf

 Die Packungsbeilage

Der Verkehrsfluss

Das Fliegengitter

Pilze sammeln – aber richtig

Die Mehlschwitze

In der Nahkampfzone

Der Nussknacker

Mülltrennung

Die Schweigeminute

Mullbinde oder Pflaster

 

Band 1          Band 2

Lesesaal