Hans Joachim Teschners

 

Lebens-Quark 21

 

 


 

 

Etliche Zeiten der Leere verbrachte ich in muffigen, gruftartigen Räumen unterhalb des Meeresspiegels. Die Räume waren vollgestopft mit Kabeln, Mikrophonen und elektronischen Gerätschaften, und man muss kein Kenner des Musikerzeugungswesens sein um zu erraten, dass es sich um Tonstudios handelte. Die Laien wiederum kennen die Märchenversion eines Studios aus vielen Fernsehfilmen und angeblichen Dokumentarstreifen, wo sogenannte Sänger – aktuell eher die casting tussies – mit unter Umständen einer Hochglanzgitarre tief an den Beinen (Kniehöhe) baumelnd (manchmal auch eine Akustikgitarre, an der das Preisschild noch klebt), im Hintergrund und rund um den als „Star“ titulierten Bräunungsstudiovisagenträger drapiert eine Combo von negroiden und schwer tittenwackelnden Backgroundsängerinnen und/oder grenzwertig grinsenden Instrumentalisten (vornehmlich ein Zweitgitarrist, ein dickbackig pustender Saxophonist - links grinsen, rechts blasen - hinten ein spastisch gestikulierender Drummer) – hier dürfte der Leser allmählich den Faden verlieren, deshalb zurück und nochmal in kurz:

 

…wo sog. Sänger(innen) in quadratische Retro-Mikrophone tirilieren und mit ihrem Speichtropf vollschleimen resp. so tun als ob – das alles ist großer Quatsch und klischeebehaftetes filmisches Lügenrepertoire.

 

Studioarbeit ist eine langweilige, verblödende Kärrnerarbeit für mittelmäßige gleichwohl handwerklich versierte Instrumentalisten, denen die inspirierende Letztmusikalität fehlt und dies Manko durch Fleiß, Nachäffung der Originale (Sound, Phrasierung, Stil, Technik) und als Insiderwissen getarntes wichtigtuerisches Sprücheklopfen auszugleichen wissen. Typisches Großmaulgelaber aus der Szene gefällig?  „Das kann ich lesen!“ Soll ungefähr heißen „Das spiel‘ ich im Schlaf, im Gegensatz zu euch Laffen ringsum“.

Ein noch dümmster Spruch kursierte lange Zeit sogar bei den Jazzern (im Nebenberuf oft unterwürfige Lohnsklaven der Popindustrie, sprich Studioarbeiter). Da wurde von der „amtlichen Harmonisierung“ eines Titels oder Standards prunkend geschwafelt. Die Amtsstube – der krasseste Gegenentwurf zu künstlerischen Vorstellungen – wird hier mit geschwellter Brust zum Zeugnis der eigenen Kennerschaft ausgerufen, dämlicher geht’s wirklich nicht. Dass die Jazzszene sich dann auch noch stolz und ohne einen Funken Reflexion an sog. Standards aufgeilt, also wiederum an einem Begriff, der das Gegenteil von Intuition, Kreativität, Neuschöpfung und Individualität inkarniert, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Bemitteltheit der Mindertruppe der neuzeitlichen Unterhaltungsmusik, einer Truppe, die mit Anspruch auf staatliche Anerkennung ihres Künstlertums (!) den Beamtenstatus für sich reklamiert mit Pension, sattem Urlaubsgeld und Privatkrankenkasse.

An unseren Musikhochschulen kann man diese Spezies aus sicherer Entfernung beobachten, die Jazzprofessoren mit dem Letztwissen über die Improvisation (Skalen, Skalen, Skalen) und den Pöstchen bei der GEMA (abkassieren, abkassieren, abkassieren) ringend um Tantiemeausschüttung, Höherbewertung des Skalengedudels, soziale Anerkennung als verdiente, dienende und verdienende Künstler. Da heißt es, bloß nicht zu nahe an die Gitter treten, sonst wird man womöglich mit amtliche Harmonien und Standards vollgehubert, zusätzlich noch mit einer seit dem 19. Jahrhundert verranzten Harmonielehre der nochmals und nochmals aufgehübschten Tonalität und was zu deren Umfeld noch alles gehört.

 

Zurück ins Kellergemach der Studiofritzen und Tontechniker.

 

Die verschiedenen Tonspuren, sprich Instrumental- oder Formteile, werden ja zumeist einzeln eingespielt, und da sitzt dann der Gitarrist einsam stunden-, tage- und mitunter wochenlang in der Miefbude und schrammelt die Begleitung als auch festgelegte Licks, guide lines, hook lines,  fill ins oder sonstiges Arrangementgeklöter für alle Titel der CD nacheinander ab. Mehrere Versionen (takes) sind Pflicht, damit der Tontechniker hinterher aus dem Material die besten Stellen zusammenflicken kann, was dann letztlich klingt wie abgeleckt, und die Produktion von Plastikschüsseln in China oder Vietnam nimmt sich im Vergleich dazu aus wie Sternstunden künstlerischen Gestaltens.

 

Immerhin erstklassig bezahlte Fließbandarbeit.

Dass der eigentliche Star gleichzeitig zu seinem Gitarrenspiel singt, ist dabei der allergrößte Blödsinn, welches die Regisseure in ihren Filmchen mit ihrem amoralischen Jacher auf plakative Bilder dem Publikum vorlügen.

 

Gut, als junger Mensch lässt man sich von vielerlei Glitzerkram blenden, da hatte ich übrigens die Theaterarbeit noch vor mir (siehe auch irgendwo in einem der Quarke), und was soll ich sagen: die fast gleiche Täuschung durch Scheingröße und Wichtigtuerei auch dort und reingefallen bin ich darauf noch jedesmal, ein Zeichen selbstverschuldeter Blödigkeit oder zumindest Geld/Ruhm/Ansehen-Gier. Mir fällt in dem jetzigen Stadion Studium Station Stadium der doch wegen altersbedingter Abgeklärtheit zu vermutenden Distanz zum Zirkus Zampano & Blendwerk auf, dass ich anscheinend auf ewig zu verführen bin. In dem letzten Satz stimmt irgendwas nicht. Oder doch.

 

Andererseits oder mit den Worten meines Vaters selig (kann auch Onkel Basti gewesen sein): Woher nehmen und nicht stehlen?

 

Rita (Gartenstr. 34, 2. Stock) meint ja auch, ich wäre mit dem Geist aus der Flasche geschwängert worden, und, angesprochen auf das geschlechtspezifische Paradoxon ihrer haltlosen Invektive, führt sie weiter aus: „Mann oder Frau, ist doch alles prästabilierter Gender-Reflex.“

Und außerdem: „Gott hätte sich schon mehr Empathie gewünscht. An seiner Stelle hätte ich mir längst die Kugel gegeben.“

 

So geht das immer. „Reinstes Themen-Hopping“, werfe ich ihr vor, aber sie behauptet, mir fehle die Einsicht in die großen Zusammenhänge. Kann ja sein, aber manchmal wünsche ich mir auch mehr Empathie, und dazu brauche ich keine Kugel wie diejenige, die Rita dem Gott schmackhaft machen wollte.

 

Jedenfalls:

Mit der Inbetriebnahme und Zurschaustellung einer wahnsinnig zu nennenden Rockband namens Silberbart endete meine Parallelvita als Studioschweini. Viele Jahre danach ergab sich noch einmal ein Kurztrip in ein Kölner Studio, wo ich meinen Jahrhundertbeitrag gitarristischer Sophistikation konziliant offenlegte. Offenlegen werde ich erstmals auch, um was es ging, und es ging schlicht um die Begleitung plattdeutscher Lieder unter dem Pseudonym Die Dorfmusikanten. Die Sangeskünstlerin hatte diesmal keinen Fremdschmuck alias Gitarre geschultert, entschädigte das Auditorium dafür mit ihrem Namen, prunkvoll aufgetragen auf Plattenlabel und Cover: Carla Lodders.

Lodders!

Da hatte ich endgültig genug.

 

 

 

 

Gesichter eines Lebens

 

           

  H. J. Teschner                                  H. J. Teschner                                    H. J. Teschner                                 H. J. Teschner

 

 

 

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